Oleg Aborniev, lebt mit Zerebralparese

Oleg Aborniev gewann im letzten Jahr vier Medaillen im Para-Armwrestling. Der Ukrainer ist überzeugt, dass der Sport weit mehr ist als eine Massnahme zur körperlichen Gesundheit.

Reporterin ohne Barrieren: Kim Pittet

Titelbild - Oleg Aborniev
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Aborniev sieht nicht nur Unterschiede bei den baulichen Barrieren, sondern auch bei den Barrieren in den Köpfen. Positiv aufgefallen sei ihm hier die Haltung der Menschen: «Die Menschen in der Schweiz haben ein grosses Problemverständnis. Und ein Bewusstsein, dass Menschen mit Behinderungen ganz normal sind, dass sie nicht vom Mars sind, sondern Teil der Gesellschaft.» Dies spiegle sich auch in den Menschen mit Behinderungen, denn die erlebe er allesamt als aktiv und engagiert.
Für diese Offenheit möchte Aborniev mit ehrenamtlicher Arbeit der Gesellschaft etwas zurückgeben. Der Sozialpädagoge, der in der Ukraine mit Waisenkindern arbeitete, leitet in Bern einen selbst einberufenen Kinder-Treff. Da bietet er Kindern mit und ohne Fluchthintergrund einen ungezwungenen Austausch an. Oft würden sie gemeinsam einen Film anschauen oder sich über verschiedene Themen, wie zum Beispiel die Freundschaft, unterhalten, so Oleg Aborniev. Aber auch physische oder mentale Aktivitäten hätten Platz: «Ich versuche, ihnen mein Wissen über Sport zu vermitteln und vorzuzeigen, wie die Geräte im Fitnessstudio benutzt werden.» Obwohl er dies unentgeltlich tue, würde er gerne Sponsoren für Projekte finden, mit Kindern arbeiten und einer bezahlten Arbeit nachgehen, um unabhängiger leben zu können.

Insbesondere für Menschen mit traumatisierenden Erlebnissen sei Sport gut, um sich stark und lebendig zu fühlen. Er weiss: «Sport trägt nicht nur zur körperlichen, sondern auch zur geistigen Gesundheit bei.» Aborniev findet es deshalb schade, dass der nicht-olympische Sport für Menschen mit Behinderungen vom Schweizer Staat nicht unterstützt wird. 
Eine weitere Schwierigkeit sei, dass er für seine Leistungen im Armwrestling keine Entschädigung durch die Schweiz, die er vertritt, bekommt. «In der Ukraine habe ich jeweils Gehalt und Preisgelder einschliesslich Reise-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten erhalten», erinnert er sich. Hier in der Schweiz müsse er etwa nebst Reisekosten für sich selbst und seine Mutter, auch sechs Trainingscamps bezahlen. «Dabei wäre es ein guter Ansatz, mehr Menschen – ob mit oder ohne Behinderungen – in den Sport zu integrieren. Denn so werden sie umgehend Teil der Gesellschaft», sagt Aborniev. Irgendwann, so hofft er, werde er dafür eine Lösung finden.

Zweimal Gold an der Europameisterschaft in Moldawien, zweimal Silber an der Weltmeisterschaft in Kasachstan – Oleg Aborniev hatte im vergangenen Jahr entschieden, für die Schweiz anzutreten und holte gleich vier Medaillen im Para-Armwrestling. Diese Medaillen seien ein Dankeschön an die Schweiz, die ukrainische Flüchtlinge unterstützt, so Aborniev. Er lebt seit Geburt mit einer Zerebralparese, gehen ist für ihn nicht möglich. Dadurch habe er bereits früh auf den Aufbau anderer Muskeln gesetzt, erzählt er. «Irgendwann sagte ich mir: Warum nicht einfach mit Armwrestling beginnen?» So übt er sich seit dem Jahr 2010 in der Kraftsportart, mit Erfolg.

Zweimal die Woche trainiert Aborniev im Sportverein Cobra in Münchenbuchsee bei Bern. Das sei gut für seine körperliche Gesundheit, aber er möge auch den gesellschaftlichen Faktor. «Ich bin Teil des Trainings und so Teil einer Gruppe», sagt der Ukrainer, der vor rund zwei Jahren zusammen mit seiner Mutter aus der Heimat geflüchtet ist und in der Schweiz Anschluss suchte. Durch den Sport kam er rasch mit den hiesigen Menschen in Kontakt, das möge er besonders. «Der einzige Unterschied ist, dass beim Armdrücken die Menschen ohne Rollstuhl stehen und ich sitze, ansonsten gehöre ich genau gleich dazu», betont er. Denn während die Sportart für gewöhnlich stehend an einem Tisch ausgeübt wird, benutzen Rollstuhlfahrer:innen speziell konstruierte, unterfahrbare Tische. Der Sportverein hat eigens für Aborniev einen solchen gekauft. Dafür sei er dankbar: «Meine Trainingskollegen sind für mich gute Freunde geworden.»
Auf dem Weg zu seinen Trainings sowie an die internationalen Wettkämpfe wird Aborniev von seiner Mutter begleitet. Sie biete ihm die nötige Assistenz auf Reisen, auch wenn er versuche, möglichst unabhängig zu sein. Vor allem bei der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sei sein Unterstützungsbedarf hoch, obwohl die Schweiz viel barrierefreier sei als die Ukraine: «In der Ukraine wurde der ÖV Schritt für Schritt besser. Aber wegen des Kriegs – auch wenn der morgen enden würde – wird es viele neue Herausforderungen geben.» Aborniev erwähnt die Bombeneinschläge, die grossen Schaden angerichtet hätten. Es sei ein weiter Weg, bis die Barrierefreiheit mit dem Rollstuhl wieder gegeben sei. Die Schweiz bezeichnet er deshalb gerade in Bezug auf die Mobilität als ein fortschrittliches Land.

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