Ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung betroffen

Mit dem Beitritt zum Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2014 verpflichtete sich die Schweiz, Hindernisse zu beheben, denen Menschen mit Behinderungen gegenüberstehen. Ebenso sollen sie gegen Diskriminierungen geschützt und ihre Inklusion und Gleichstellung gefördert werden. Auch die Bundesverfassung verlangt die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen. Ist in der Schweiz in Sachen Behindertenrechte demnach alles in bester Ordnung? Die Antwort lautet Nein. Das ist (noch) nicht der Fall. Darum hat die SODK verschiedene Aktivitäten eingeleitet, um Missstände zu beheben.

Inklusion und Partizipation: Die Schweiz hat Handlungsbedarf

Die UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) galt als erste grosse universelle Menschenrechtskonvention des 21. Jahrhunderts. Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen. Inklusion bedeutet: Menschen mit Behinderungen sollen voll und autonom am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Dafür sind sie vor Benachteiligung und Diskriminierung zu schützen, ist ihre Existenzsicherung zu garantieren und ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zu verwirklichen.

Die Umsetzung der Konvention, die für die Schweiz am 15. Mai 2014 in Kraft getreten war, wurde vom UNO-Behindertenrechtsausschuss überwacht. Dieser Ausschuss hatte die Schweiz im März 2022 unter die Lupe genommen. In seinem Bereich hatte er anschliessend Kritik am Stand der Umsetzung der Konvention durch die Schweiz geübt. Der Ausschuss kritisierte insbesondere, dass die von der Konvention geforderte Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene zu wenig gelebt werde. Er bemängelte weiter, dass die Schweiz keine Strategie habe, wie die Konvention konsequent verwirklicht werde.

Inclusion Handicap, die schweizerische Behinderten-Dachorganisation, schloss sich der Kritik der UNO an und hielt fest, dass die Bundesgesetze in der Schweiz bisher kaum im Sinne der Konvention angepasst worden seien.

Manifest für eine inklusive Behindertenpolitik in den Kantonen

Die SODK hatte die Kritik an der offiziellen Schweiz gehört und Menschen mit Behinderungen zu einem interkantonalen Inklusionsgipfel eingeladen. Dieser war anlässlich der Jahresversammlung ihrer Fachkonferenz der kantonalen Beauftragten für Behindertenfragen (FBBF) am 23. März 2023 durchgeführt worden. 

Unterstützt von der Hochschule Luzern hatten an diesem Anlass Menschen mit Behinderungen das «Manifest für eine inklusive Behindertenpolitik in den Kantonen» ausgearbeitet, das an die Kritik des UNO-Ausschusses anschloss.

Das Inklusions-Manifest von 2023 forderte

  1. «eine konsequente Umsetzung der UN-BRK in allen Kantonen. Dazu gehören die Schaffung von kantonalen Behindertengleichstellungsgesetzen und das Schaffen von kantonalen Gleichstellungsbeauftragten.»
  2. «den aktiven Einbezug und die bedingungslose Mitsprache von Menschen mit Behinderungen in der kantonalen Behindertenpolitik. Dazu gehören ein niederschwelliger Zugang zu Informationen, die Möglichkeit der aktiven politischen Mitgestaltung und das Stimm- und Wahlrecht für alle Menschen mit Behinderungen.»
  3. «eine konsequente Umsetzung von Barrierefreiheit und Zugänglichkeit in allen Lebensbereichen. Dazu gehören der Abbau von physischen, kommunikativen, administrativen, räumlichen und psychischen Barrieren.»

Die Verfasserinnen und Verfasser forderten im Manifest weiter, dass 

  1. «wir unser Leben autonom und selbstbestimmt gestalten und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Dazu gehören die Wahlfreiheit bei der Wohn- und Lebensgestaltung und bei Beratungs- und Unterstützungsangeboten.»
  2. «wir in unserer Vielfalt anerkannt und akzeptiert werden und nicht aufgrund unserer Behinderung diskriminiert werden. Dazu gehören ein inklusiver Arbeitsmarkt und ein an den individuellen Bedürfnissen angepasstes Bildungssystem.»

Die SODK hatte das Manifest an ihrer Jahreskonferenz am 5. Mai 2023 entgegengenommen und zugesagt, seine Umsetzung zu prüfen. In der Zwischenzeit hatte sie einen Vorschlag ausgearbeitet, wie sie selbst sowie die einzelnen Kantone - soweit zuständig - die Empfehlungen des UNO-Ausschusses umsetzen konnten. Die Kantone respektive die Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren haben an der Jahreskonferenz der SODK im Juni 2024 über diesen Vorschlag befunden.

Inklusiver Arbeitsmarkt, selbstbestimmtes Wohnen und Partizipation auf der Agenda der SODK

Im Rahmen ihrer Fachkonferenz der kantonalen Beauftragten für Behindertenfragen setzte die SODK im Frühling 2023 einen Ausschuss ein, der seine Tätigkeit im August 2023 aufnahm und einen inklusiven Arbeitsmarkt anstrebt.

Und bereits im Januar 2021 verabschiedete die SODK eine Vision für das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderungen und betagten MenschenSie förderte die Umsetzung dieser Vision auf allen staatlichen Ebenen systematisch. Zudem hatte sie mit dem Bund das Mehrjahresprogramm 2023 – 2026 zum selbstbestimmten Wohnen lanciert.

Ebenfalls bereits im Jahr 2021 verabschiedete die SODK eine Vision zum Thema Partizipation: «Behörden, deren Entscheide Menschen individuell oder als Gruppe in beachtlichem Masse tangieren, liessen die betroffenen Menschen am entsprechenden Verfahren, Projekt oder Prozess zur Entscheidfindung teilhaben. Die (kantonalen) Behörden schafften Möglichkeiten zur Partizipation und verankerten diese. Sie kommunizierten transparent über ihre Aktivitäten der Partizipation und berücksichtigten diese nach Möglichkeit im weiteren Verlauf ihrer Arbeiten.»

Die SODK setzte sich insbesondere dafür ein, dass Kinder, Jugendliche und Menschen mit Behinderungen an Verfahren, Projekten und Entscheidungsfindungsprozessen teilnahmen. Und sie bemühte sich nach Kräften, Partizipation bei der eigenen Arbeit zu leben.

Hätten Sie es gewusst?

  • Als Mensch mit Behinderung gilt gemäss dem Behindertengleichstellungsgesetz «eine Person, der es eine (…) körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung erschwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und weiterzubilden oder eine Erwerbstätigkeit auszuüben.» 

  • Jeder fünfte Mensch in der Schweiz lebt mit einer Behinderung und ist im Alltag entsprechend eingeschränkt.

  • 11% der jungen Erwachsenen zwischen 16 und 24 Jahren leben mit einer Behinderung, 39% der Personen ab 85 Jahren.  Keine Person ohne Behinderung kann davon ausgehen, im Alter von Behinderungen verschont zu bleiben.