Visual Frame Gebärdensprache im Alltag

Ich lebe mit dem Usher Syndrom Typ 1, der Gehörlosigkeit und einer Sehbehinderung. Eine ihrer Auswirkungen ist, dass ich der Gebärdensprache immer weniger folgen kann. Diese kann aber angepasst werden, damit ich sie verstehen kann. Ein Einblick, wie das im Alltag gelingt.

Reporterin ohne Barrieren: Mirjam Münger

Titelbild - Gastblog von Reporterin ohne Barrieren – Mirjam Münger

Eine Gestalt tritt bis etwa einen Meter vor mir heran. Ich erkenne sie langsam als diejenige einer Bekannten von mir, die in Gebärdensprache kommuniziert. Sogleich stelle ich mich darauf ein, Gebärden zu sehen. Tatsächlich entdecke ich eine Gebärde, die aber gleich verschwindet, noch bevor ich ihre Bedeutung erschliessen kann. Eine längere Pause folgt. Danach taucht flüchtig erneut eine Gebärde auf, ohne dass ich sie verstehe und mit der vorherigen in einen Zusammenhang bringen kann.  

Solche Begebenheiten mehren sich in meinem Alltag, seitdem die Symptome der Retinitis Pigmentosa, einer Sehbehinderung, weiter fortgeschritten sind. Eines davon ist, dass sich das Gesichtsfeld mit den Jahren verengt. Irgendwann hat es sich so verkleinert, so dass ich der Gebärdensprache nicht mehr folgen kann, die im üblichen Gebärdenraum ausgeführt wird. Dieser reicht vom Bauch bis etwas über dem Kopf und hat etwa die Breite der Schultern. So ist der Gebärdenraum für mein Gesichtsfeld zu gross. Denn in einem Abstand von etwa ein bis zwei Metern sehe ich fast nur noch das Gesicht der jeweiligen Person. Das heisst, dass ich alle Gebärden, die ein Stück vom Kopf entfernt sind, verpasse. Damit ich die Gebärdensprache trotzdem aufnehmen kann, muss sie angepasst werden.  

Die Gebärdensprache rund ums Gesicht

Visual Frame Gebärdensprache ist eine der Kommunikationsformen, die mit Gebärdensprache-Nutzenden mit eingeschränktem Gesichtsfeld verwendet werden können. Dabei werden die Gebärden rund ums Gesicht ausgeführt. Das bedeutet, dass der standardmässige Gebärdenraum verkleinert und zum Gesicht verschoben wird. Idealerweise hat dieser Raum ungefähr die Grösse meines Gesichtsfeldes. 

An meinem Hauptarbeitsort in der Beratungsstelle für Schwerhörige und Gehörlose BFSUG Bern habe ich meinen Kolleginnen gezeigt, wie sie mit mir Visual Frame Gebärdensprache nutzen können. Diese erfordert einiges an Umstellung und Übung, weil wir aus Gewohnheit nicht ausschliesslich beim Gesicht, sondern vor unserem Oberkörper gebärden. Inzwischen praktizieren mehrere Arbeitskolleginnen diese Sprache automatisch, sobald sie mit mir ins Gespräch kommen. Und sie machen das so gut, dass ich fast alle ihre Gebärden innerhalb meines Gesichtsfeldes erkenne. 

Das ist für mich gelebte Inklusion, dass Menschen die Gebärdensprache bei Bedarf anpassen, damit beispielsweise Gebärdensprach-Nutzende mit einer Sehbehinderung sie weiterhin verstehen können. Und dass solche Anpassungen nicht mehr speziell, sondern alltäglich sind.

Auf dieser Website finden Sie je eine Darstellung, welche den üblichen und den verkleinerten Gebärdenraum zeigen Taubblind Kommunikationsformen - SZBLIND
(auf Visual Frame Gebärdensprache klicken).