Malick Reinhard, lebt mit einer neuromuskulären Erkrankung

Malick Reinhard ist ein engagierter Journalist. Für seine Passion muss er aufgrund der Behinderung zusätzliche Herausforderungen in Kauf nehmen.

Reporterin ohne Barrieren: Kim Pittet

Titelbild - Malick Reinhard
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Vergleicht Reinhard seine berufliche Laufbahn mit derjenigen seiner ehemaligen Studienkolleg:innen, sieht er deutliche Unterschiede: «Sie haben alle  mehrmals die Redaktion gewechselt oder teils erste Führungserfahrung gesammelt. Ich hingegen bin immer noch am gleichen Punkt», sagt Reinhard und weist auf eine der Ursachen hin: «Ich erhalte immer nur Aufträge, bei denen es um behinderungsspezifische Themen geht.» Würde er diese ablehnen, so bekäme das Thema keinen Platz in den frankophonen Medien – und er keine Aufträge mehr. Aber genau diese Reduktion auf die Behinderung stünde seiner Karriere im Weg: Denn solange er nur über ein Thema berichte, könne er sich nicht weiterentwickeln. «Und wieso sollte ich dann den Posten eines Chefredaktors erhalten, wenn ich nicht einmal unterschiedliche Ressorts kenne?», so Reinhard.

Manchmal fragt sich Malick Reinhard, wo ihn dies hinführen werde. Dabei verweist er darauf, dass dem Journalismus immer weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stünden und dadurch auch immer weniger Menschen eine Festanstellung erhalten würden. «Ich bin quasi doppelt behindert», sagt er. Doch wieso sich dieser Herausforderung stellen, wenn es unzählige Jobs gibt, für die er einfacher eine Anstellung finden würde? «Ich habe das Bedürfnis, der Gesellschaft nützlich zu sein», erklärt Reinhard. Schon als Kind habe er sich für die Medienwelt interessiert und sich stundenlang in Recherchen vertiefen können. Und als er sich mit der Berufswahl beschäftigte, sei die Sinnhaftigkeit an oberster Stelle gestanden. «In einer Demokratie hat der Journalismus einen hohen Stellenwert. Wenn wir wählen und abstimmen, müssen wir informiert sein», so Reinhard, der sich selbst als Historiker der Gegenwart bezeichnet. Mit seiner Arbeit wolle er den Menschen helfen, die Realität zu verstehen. So beispielsweise auch bei der Berichterstattung rund um Behinderungen: «Mein Traum ist es, dass die Gesellschaft aufhört zu denken, dass wir «krank» sind oder dass unser Lebenszweck das Gehen ist. Denn viele Menschen denken so - die meisten - und oft ist es nicht korrekt.»

Reinhard sensibilisiert aber nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen. So sei es ihm ein besonderes Anliegen, dass seine Berufskolleg:innen aufhören würden, Stereotypen in der Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen zu reproduzieren. Die Pädagogik sei entscheidend, um Klischees abzubauen. So gebe er ihnen nach einem Artikel jeweils ein wohlwollendes Feedback und erkläre die Mechanismen hinter den Stereotypen. «Sprache prägt, wie Menschen wahrgenommen werden», so Reinhard. Diese Wahrnehmung könne sich nur verändern, wenn man beispielsweise nicht mehr lese, dass eine Person «an den Rollstuhl gefesselt» sei. Menschen mit Behinderungen weniger als leidende Kreaturen darzustellen, würde zu mehr Inklusion führen. 

Als freischaffender Journalist arbeitet Malick Reinhard in diversen Redaktionen und Radio-Studios. Einige davon befinden sich in Gehdistanz, andere wiederum sind mit dem Zug erreichbar. Mit dem Auto ist er nur in seltenen Fällen unterwegs. Denn «so kann ich der SBB und der Gesellschaft zeigen, dass auch wir Menschen mit Behinderungen Teil der Nutzer:innen sind.» Er ist somit beruflich regelmässig auf die öffentlichen Verkehrsmittel und auf deren autonome Nutzung angewiesen. Das wiederum verdeutliche die Notwendigkeit der Barrierefreiheit. Dass es die SBB innerhalb von 20 Jahren nicht geschafft habe, die Rechte von Menschen mit Behinderungen umzusetzen, treibt Reinhard an. Der 25-jährige Rollstuhlfahrer hat sich in der Romandie mit Kritik an der SBB bereits einen Namen gemacht.

Unter Menschenwürde verstehe ich den Respekt der Gesellschaft gegenüber den bestehenden Rechten von Menschen mit Behinderungen

Das Reisen an unterschiedlichste Destinationen hat sich Malick Reinhard nicht ausgesucht. Denn der Lausanner wünscht sich eine unbefristete Anstellung bei einer Redaktion. Eine solche zu erhalten, sei aber eine seiner grössten Herausforderungen. Von insgesamt 307 verschickten Bewerbungen wurde er lediglich an drei Vorstellungsgespräche eingeladen. «Auf dem ersten Arbeitsmarkt habe ich fast keine Chance.» Er bewerbe sich nach wie vor auch auf Praktika, in der Hoffnung, diese als Sprungbrett nutzen zu können. «Ich möchte gleichberechtigt meine Arbeit als Journalist ausführen können. Da ich keinen Zugang zu Anstellungen erhalte, habe ich keine Wahl, worüber ich schreibe», erklärt er. Besonders würde er sich eine Arbeit in einer Redaktion wünschen, bei der er direkt im Büro mit Kolleg:innen zusammenarbeitet. Bei seinen sporadischen Einsätzen im Radiostudio geniesse er jeweils den Austausch von Ideen und Gedanken mit Teamkolleg:innen. «Das sind die Momente, in denen ich mich gleichberechtigt fühle», so Reinhard. Auch habe er dadurch die Möglichkeit zu zeigen, dass er professionell arbeiten und sich an Vorgaben halten könne. «Ich habe die gleichen Bedürfnisse wie alle anderen Journalist:innen. Der einzige Unterschied ist, dass ich sitzen muss.»

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