Ich lebe mit Schizophrenie
Ich bin der Fotograf der SODK-Porträtserie über Menschen mit Behinderungen. Und auch ich kenne den Alltag mit einer Beeinträchtigung: Seit meinem 27. Lebensjahr lebe ich mit Schizophrenie.
Autor: Michael Waser
Als ich von der SODK gefragt wurde, ob ich einen Text über mich schreiben wolle, war ich zunächst überrascht. Menschen mit Schizophrenie wird normalerweise nicht zugetraut, in der Öffentlichkeit für sich selbst zu sprechen. Lange hatte ich gezögert, mich öffentlich zu meiner Erkrankung zu bekennen. Denn wer sich als Betroffener von Psychosen vorstellt, hat es nach wie vor erheblich schwerer, eine Wohnung oder eine Arbeitsstelle zu finden. Horrorgeschichten in den Medien über Menschen, die an paranoider Schizophrenie leiden und anderen Schaden zufügen, tragen ihren Teil dazu bei.
Meine eigenen Erfahrungen mit Psychosen kamen mir teilweise auch wie Horrorfilme vor. Sie waren so belastend, dass ich einmal beschloss, aus dem Fenster zu springen – aus dem dritten Stockwerk. Was meinen Todessprung verhinderte, war das Panzerglas der Isolationszelle in der psychiatrischen Klinik, in der ich mich befand. Insofern rettete mir die Psychiatrie das Leben. Doch die Zwangsmedikation und die Fixierungen in den geschlossenen Abteilungen führten auch zu einer Traumatisierung.
Die akuten psychotischen Phasen verursachten bei meinen Angehörigen grossen Kummer. Für mich persönlich fühlten sie sich nicht nur schlecht an. Sie verliehen mir auch Mut, ermöglichten mystische Erfahrungen und führten zu faszinierenden visuellen Halluzinationen.
Die Schizophrenie zeigt sich bei mir in einer Flut von Symbolen, die dem Unbewussten entspringen und mir dann als äusserliche Formen begegnen. Es ist wie Träumen im Schlaf, nur erlebe ich es im Wachzustand. Die Projektionen aus dem Unbewussten können die Grenze zwischen dem Ich und dem Aussen auflösen, was herausfordernd ist. Deshalb wirken Rituale, Regeln und Strukturen, welche diese Grenze wieder festigen, stabilisierend. Die therapeutischen Sitzungen der Psychoanalyse dienen dazu, mich selbst besser zu verstehen. In der Selbsthilfegruppe, die ich regelmässig besuche, unterstützen wir uns auf unseren individuellen Gesundungswegen, indem wir uns füreinander öffnen.
Medikamente machen das Funktionieren im Alltag einfacher, verlangen aber einen hohen Preis: Ich war phasenweise emotional abgestumpft und nahm 25 Kilogramm an Körpergewicht zu. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis ich mich wieder lebendiger fühlte – nicht zuletzt dank der Verschreibung eines neuen Neuroleptikums, das aber wieder andere Nebenwirkungen mit sich brachte. Ich bin diesbezüglich pragmatisch: Die medikamentöse Unterstützung nutze ich, um klar denken zu können. Auch langfristige Pläne lassen sich damit umsetzen. Ich fühle auch eine Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen, die Präparate einzunehmen. Dennoch bleibt meine Haltung ihnen gegenüber ambivalent und in manchen Momenten würde ich sie gerne schrittweise reduzieren.
Von Montag bis Freitag arbeite ich jeden Morgen in einem Kreativatelier und kümmere mich um die Administration und den Unterhalt. Dabei sind mir die sozialen Kontakte besonders wichtig. Der Fotografie gehe ich seit sechs Jahren nach. Was mich daran fasziniert, ist die Objektivierung eines flüchtigen Augenblicks in einen zweidimensionalen, rechteckigen Rahmen. Durch das Fotografieren gewinne ich Distanz zum Aussen. Kunst entsteht, wenn ich gleichzeitig mit dem Geschehen in Verbindung bin. Bei Porträts versuche ich, mein Gegenüber zu spüren und begegne dabei mir selbst in all den Facetten, die ich von mir kennengelernt habe. Ich denke, ich habe eine Antenne für versteckte Gefühle entwickelt.
Inzwischen fotografiere ich für namhafte Institutionen. Vor einiger Zeit bekam ich einen Anruf aus Hamburg: Der Verlag einer grossen deutschen Wochenzeitung teilte mir mit, meine Porträts seien ihnen empfohlen worden. Im Bundeshaus in Bern fotografierte ich bereits drei Mal. Ich bin an diesem Ort jeweils fürchterlich nervös und stelle mir vor, dass mich das Sicherheitspersonal verhaftet und zurück in die Klinik bringt. Doch es besteht kein Grund zur Sorge: Alle sind freundlich zu mir.