Philipp Kutter, lebt mit Tetraplegie
Philipp Kutter, Nationalrat der Mitte aus dem Kanton Zürich lebt seit einem Skiunfall mit einer Behinderung. Zum Zeitpunkt des Unfalls sass er bereits seit knapp fünf Jahren im Parlament. Diese Erfahrung will er nutzen, um sich für Menschen mit Behinderungen politisch einzusetzen.
Reporterin ohne Barrieren: Nicole Haas
Philipp Kutter erhofft sich für die Zukunft Rückenwind von der Inklusionsinitiative. Diese will die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und das Recht auf Assistenz auf Verfassungsebene verankern. Neben einem besseren Schutz vor Diskriminierung könnte sie generell neuen Schwung in die nationale Behindertenpolitik bringen. Der Mitte-Politiker zeigt sich zuversichtlich, dass die 100‘000 Unterschriften bis zum Herbst gesammelt werden können. Und es blitzt eine ordentliche Portion Kampfeslust in ihm auf auf als er nachschiebt: „Auf die Debatte im Nationalrat freue ich mich jetzt schon.“
Der Vater von zwei Töchtern sieht sich in der privilegierten Situation eines gut vernetzten Parlamentariers, der auch privat Hilfeleistungen erhält, unter anderem von seiner Frau. Eine von der Invalidenversicherung bezahlte Assistenz im Berufsalltag erhält er nicht. Menschen, die aufgrund eines Unfalls behindert sind, sind von Assistenzleistungen der IV ausgeschlossen. Für Kutters berufliche Tätigkeit sind aber funktionierende Unterstützungssysteme zwingend.
„Mit Unterstützung kann ich beruflich und politisch gut tätig sein. Ohne geht es überhaupt nicht.
An die Assistenzleistungen während den Sessionstagen leistet der Bund einen Beitrag. Die Assistenz für seine Tätigkeit als Stadtpräsident finanziert er hingegen selbst.
Philipp Kutter hat bereits kurz nach seinem Unfall offensiv und breit kommuniziert, wie es ihm geht. Drei Tage nach dem Unfall postete er das erste Mal aus dem Krankenbett eine Message auf Social Media. Es habe in seinem Fall viel Informationsbedarf gegeben, die Leute hätten wissen wollen, wie es ihm gehe und welche Auswirkungen der Unfall auf seine politische Tätigkeit habe. „Insbesondere die Menschen in Wädenswil hatten viele Fragen“, sagt Kutter. Diese Offenheit bereut er nicht: „In meinem Fall war das die richtige Entscheidung. Ich habe dadurch viel Zuspruch und Hilfsbereitschaft erfahren.“
Dass Philipp Kutter nur wenige Monate nach seinem schweren Skiunfall für eine erneute Wahl ins eidgenössische Parlament in den Wahlkampf zog, war eine Sensation. Mit überzeugender Kommunikation, sympathischem Auftreten, einem Leistungsausweis als langjähriger Stadtpräsident von Wädenswil und als Nationalrat, gelang es ihm im Oktober 2023, souverän wiedergewählt zu werden.
Mittlerweile hat der 48-jährige Kutter zwei Sessionen als Politiker mit Behinderung im Bundeshaus erlebt und ist auch als Stadtpräsident wieder zurück im Alltag. Es habe sich zu einem gewissen Grad eine neue Normalität etabliert, sagt er. Und doch:
Noch immer erlebe ich viele Dinge zum ersten Mal als Mensch mit Behinderung. Die Abläufe sind noch nicht alle automatisiert.
Der Alltag halte weiterhin Überraschungen bereit, sei herausfordernd. Vor allem am Morgen zum Aufstehen und am Abend benötige er deutlich mehr Zeit als früher und erhalte dafür Hilfe von der Spitex. Auch das Reisen im öffentlichen Verkehr sei mit sehr viel mehr Zeitaufwand und Organisation verbunden.
Hier sieht sich der Präsident der Verkehrskommission des Nationalrates in der Pflicht, an einer Veränderung mitzuwirken: „Die Verbesserung der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr ist ein zentraler Aspekt, wenn es um Behindertenpolitik geht.“ Dazu beitragen könnte auch eine Revision des Behindertengleichstellungsgesetzes BehiG. Der vom Bundesrat vorgelegte Revisionsentwurf überzeugt ihn aber noch nicht: „Aus meiner Sicht ist der Entwurf mutlos.“ Er teilt damit die Einschätzung von Behindertenrechtsaktivist:innen und Behindertenorganisationen, welche den Entwurf ebenfalls als ungenügend und zu wenig tiefgreifend bewerten.