Islam Alijaj, lebt mit Zerebralparese
Islam Alijaj hat sich in den letzten zehn Jahren einen Leistungsausweis erarbeitet, der aufhorchen lässt. Zuvor litt er jahrelang darunter, sein berufliches Potential nicht voll entwickeln zu können.
Reporterin ohne Barrieren: Nicole Haas
Wenn es um seine Ziele geht, rührt der heute 37-Jährige nicht mit der kleinen Kelle an: Schon als Jugendlicher ist er von Steve Jobs fasziniert. Er träumt davon, für Menschen mit Behinderungen dieselbe innovative Kraft zu entwickeln wie dieser. Alijaj will einen gesellschaftlichen Umbruch: Weg von der Defizitorientierung, hin zu mehr Unterstützung, damit Menschen mit Behinderungen ihre Fähigkeiten und Stärken leben können. Dass er selbst fähig ist, neue Wege zu gehen, hat er schon einige Male bewiesen. Er begründet 2019 den Verein Tatkraft mit und stösst damit unter anderem den Inklusions-Check für Gemeinden und die Inklusionsinitiative an. Im Februar 2022 gelingt ihm die Wahl in den Zürcher Gemeinderat, im Oktober 2023 zieht er ins nationale Parlament ein. Keiner dieser Meilensteine erreicht Islam Alijaj leicht, für alle muss er mit voller Kraft kämpfen.
Das neue Nationalratsmandat macht etwas mit dem Behindertenrechtsaktivisten: «Ich merke, dass ich anders wahrgenommen werde. Früher musste ich für alles Bittibätti machen», heute reiche es, seinen Namen zu nennen und Leute würden ihn treffen wollen. Es schmeichle ihm, irritiere ihn aber auch:
Ich bin immer noch derselbe Mensch, mit denselben politischen Zielen. Aber ich werde als Nationalrat sehr viel ernster genommen.
Von einem historischen Sieg war letzten Oktober die Rede, als der SP Politiker Islam Alijaj und zwei weitere Politiker im Rollstuhl in den Nationalrat gewählt wurden. Dieser Erfolg wurde dem in Zürich Albisrieden aufgewachsenen Secondo nicht in den Schoss gelegt, lange Zeit wurde er für seine Ambitionen belächelt.
Mit 16 beendet er die Sonderschule auf dem schulischen Niveau eines Sechstklässlers. Nicht viel hat damals gefehlt und er hätte einen geschützten Arbeitsplatz erhalten und wäre in ein Wohnheim gezogen, möglicherweise auf Lebzeiten. Dass man ihm aufgrund seiner Cerebralparese und der daraus folgenden Sprechbehinderung wenig zutraut, belastet ihn immer wieder. In seinem biografischen Manifest schreibt er:
Ich muss immer zuerst meine Behinderung egalisieren, damit ich ins Rennen steigen kann.
Jahrelang kämpft Alijaj für eine Ausbildung, die seinen intellektuellen Fähigkeiten entspricht, macht zuerst eine EBA-Lehre als Kaufmann, holt später noch den EFZ-Abschluss nach. Und tingelt danach beruflich für eine kleine Behindertenorganisation von Anlass zu Anlass, engagiert sich für mehr Selbstbestimmung und lernt dabei, wie Behindertenorganisationen und Politik funktionieren. Vieles frustriert ihn: Die fehlende nationale Behindertenpolitik, die Finanzierung der Assistenz, die Hürden innerhalb der politischen Parteien. Und dass Behindertenorganisationen das Bild der hilflosen und bemitleidenswerten Behinderten zusätzlich zementieren. Irgendwann kommt der Moment, wo Alijaj mitreden will in der Politik: Er wird Mitglied der SP Stadt Zürich.